Unter Schwestern mit Leonie von Annafie London
Liebe Leonie, bitte stell Dich kurz vor:
Ich bin Leonie und lebe mit meinem Mann und unseren vier Kindern (2x BruderBruder und 2xSchwesterSchwester) in London. Wir wollten eigentlich nur für ein paar Jahre bleiben, mittlerweile sind es fast 15. Mein Mann und ich sind beide vor allem im Ausland aufgewachsen (unsere Väter waren zufällig beide im diplomatischen Dienst), und jetzt ist London unser Zuhause. Seit ein paar Monaten haben wir alle einen britischen Pass – man weiß ja leider nicht so ganz, wie sich das Brexit-Schlamassel entwickeln wird. Aber wir sind total „Deutsch“ und würden wahnsinnig gerne langfristig ein Ferienhäuschen in Deutschland haben! Unser 8-jähriger Sohn sagt immer, er sei Deutscher, komme aber aus England. Das trifft es genau.
Du hast 2019 die Geschäftsführung von Annafie London übernommen. Bitte erzähle uns doch ein bisschen mehr, warum Du Dein „Corporate Life“ an den Nagel gehängt hast, um Dich ganz dem Aufbau Deiner eigenen Manufaktur zu widmen?
Ich bin eigentlich Juristin und habe jahrelang im Kapitalmarktrecht in einer großen Kanzlei in London gearbeitet. Leider oft extrem lange Stunden und Wochenenden, und das passte einfach irgendwann nicht mehr mit unserem Familienleben zusammen! Außerdem kam der 2. BruderBruder mit ein paar Problemen auf die Welt, und ihm den bestmöglichen Start ins Leben zu geben war auf einmal viel, viel wichtiger. Also - absolut richtig, im Nachhinein, auch wenn mir die Entscheidung damals super schwer gefallen ist. Und dann kam Ende 2018 über Umwege Annafie in mein Leben… Ich kannte die Marke seit Jahren (sie wurde 2005 von einer ebenfalls in UK lebenden Deutschen gegründet) und war glühender Fan! Als ich nach zwei Jungs ein Mädchen bekam, habe ich den Laden quasi leergekauft… Und dann hörte ich plötzlich über Umwege und total zufällig, dass Annafie zum Verkauf stand. Und ich wusste in der Sekunde, dass es das war, worauf ich gewartet hatte… Etwas verrückt, und ich bin sonst so gar nicht der Typ für spontane Entscheidungen, aber das war es einfach!
Kinderlabels gibt es ja wie Sand am Meer; was macht Annafie London so besonders?
Ja, es gibt echt viele Kinderlabels, und auch wunderschöne! Aber kein Annafie ;-) Annafie London produziert in kleinen Mengen, mit den besten und sorgfältig ausgewählten Baumwoll-Stoffen, in Familienbetrieben in Madagaskar (übrigens DEM Land für Handarbeit und Smoking) Kinderkleidung, die Kinder Kinder sein lässt! Die Stücke sind einfach zu tragen und zu pflegen (kann alles in die Waschmaschine!), bleiben jahrelang genauso schön wie beim Kauf, wachsen quasi mit dem Kind mit und können dann an die jüngeren Geschwister, Cousinen und Cousins oder Freunde weitergegeben werden. Und natürlich hat Annafie diese schönen klassischen Designs, die es heutzutage kaum noch gibt. Ich liebe z. B. die klassischen bestickten Gänse-Kleider und die mit Karussell-Pferdchen im Winter, und vor allem die gesmokten Toile de Jouy Kleider - die sind einfach zeitlos und elegant, genau wie Eure Ohrringe! Die Kleider kann man beim Picknick im Sommer genau so gut tragen wie zum Blumen streuen bei einer Hochzeit. Und es macht so unglaublich viel Spaß, diese Kleider jetzt auch designen zu dürfen - das ist mit Abstand das Beste an meinem neuen Alltag! Übrigens, “Smok” (auf Englisch “Smocking”) ist eine Art der Stickerei, bei der Stoff gerafft wird, damit er sich dehnen kann. Diese Technik kommt ursprueglich aus England und wird schon seid dem Mittelalter praktiziert. Auf dieses Geraffte wird dann per Hand gestickt.
Kann es sein, dass Eure Strampler auch von einem kleinen Prince George favorisiert wurden? Die Geschichte dazu möchten wir SchwesterSchwestern gerne genauer wissen!
Genau! Das war (leider) vor meiner Zeit bei Annafie, aber für meine Vorgängerin war das ein ganz toller Moment. Prince George wurde auf seiner ersten Reise nach Australien und Neuseeland in diesem niedlichen Segelboot-Strampler fotografiert. Der ist bis heute immer noch einer unserer Bestseller, und sieht wirklich an jedem kleinen Jungen besonders süß aus. Und hab ich schon erwähnt, dass er bei 30 Grad in die Waschmaschine darf? ;-)
Geschäftssitz Eures Unternehmens ist Großbritannien. Wo fertigt Ihr Eure wunderschönen Kleider und wie wichtig ist Nachhaltigkeit für Dich?
Annafie produziert schon seit 2005 in Madagaskar. Als ehemalige französische Kolonie ist es das Land mit den besten Näherinnen und Stickerinnen – die Kunst des Smokings und der Handarbeit wird von Generation zu Generation weitergegeben. Diese Qualität der Handarbeit sieht man den Kleidern, Stramplern, Pyjamas und Nachthemden einfach an! Es dauert mindestens acht Stunden, ein Kleid von Hand zu smoken und zu besticken, und das können nur besonders erfahrene Stickerinnen. Mit unseren Aufträgen unterstützen wir sie und ihre Familien. Es geht um das „perfectly imperfect“ – jedes Stück ist ein Unikat, und eben komplett handgefertigt. Alle Kleider sind aus bester afrikanischer Baumwolle von einem lokalen Stoffproduzenten, mit dem Annafie auch schon seit über zehn Jahren zusammen arbeitet. Wir fangen gerade an mit Bio-Baumwolle zu arbeiten und wollen die kleinen Familienbetriebe, in denen wir die Kollektionen herstellen, dabei unterstützen die Bio Akkreditierung zu bekommen. Aber in Madagaskar mahlen die Mühlen langsam, und man muss geduldig sein. Auch hier in Europa wird Nachhaltigkeit immer wichtiger für Annafie, z.B. verschicken wir jetzt die meisten Artikel in unseren biologisch abbaubaren Versandtaschen. Es gibt aber noch viel zu tun und zu verbessern, ich bin dran! ;-)
Die aktuelle Situation mit COVID-19 birgt ja für uns alle unglaubliche Herausforderungen. Welche Auswirkungen hat die Krise auf Euch als junges Unternehmen ausgerechnet im stark betroffenen Großbritannien?
Wir dachten die ganze Zeit ja schon, dass es nicht schlimmer werden kann als Brexit. Und dann kam Covid-19… Das war, und ist, leider immer noch mühsam für uns! Z.B. war unsere Sommerkollektion extrem verspätet, weil in Madagaskar die Fabriken ohne Vorwarnung geschlossen wurden und unsere Produktion plötzlich still stand. Wir wollten natürlich absolut niemanden gefährden, vor allem nicht im Atelier und den Betrieben, und haben dadurch mehrere Aufträge nicht annehmen können (Annafie produziert für die eigene Website, aber vor allem für B2B, also Handelskunden auf „Made to Order“ Basis). Das geht leider auch noch weiter – in Madagaskar dürfen Betriebe gerade nur vormittags geöffnet sein, und daher können wir nicht so schnell wie sonst produzieren. Aber wie gesagt, die Sicherheit der Mitarbeiter hat absolut Vorrang! Hinzu kommt, dass dieses Jahr kaum Kommunions-/Tauf- und Blumenmädchen-Kleider verkauft wurden, und dass die großen Handelsmessen nicht wie geplant stattfinden können. Aber insgesamt kann ich mich gar nicht beschweren – es läuft gerade im Großen und Ganzen ziemlich gut! Vor allem im Vergleich zu Konkurrenten, die heftige Londoner Ladenmieten zahlen… Annafie wächst und wird auch über europäische Grenzen hinaus immer bekannter, und weil die Unternehmenskosten noch relativ gering sind, werden wir hoffentlich ganz gut durch die Krise kommen. Fingers crossed!
Gibt es aus dieser Situation auch positive Erfahrungen, die Dich als Mensch und Unternehmerin langfristig prägen werden?
Und wie! Ich habe wahnsinnig viel gelernt. Z.B. dass ich nicht alles kontrollieren kann und alle es verstehen, wenn mal nicht alles perfekt klappt, gerade in so einer Situation. Und dass man ab und zu mal einfach nur abwarten muss - wir sind alle nur Menschen, und in so einer Situation kann halt niemand etwas dafür, wenn Kleider zu spät ankommen. Gelernt habe ich aber auch, wie wichtig es ist, dass ich die richtige Balance zwischen Arbeit und Familie finde. So ganz habe ich den Spagat noch nicht raus, und frage mich gerade, ob man das überhaupt kann? Als Mensch wird mich ganz sicherlich diese wunderschöne Quality Time mit meiner Familie prägen! Wie schnell war unser Leben vor dieser Krise - wie in einem Hamsterrad! So schlimm alles war und auch zum Teil noch ist, wir waren während des Lockdowns, der in UK ja lange angehalten hat, recht sicher in unserer kleinen Oase zu Hause und haben es so genossen, jeden Tag zusammen zu essen, zu spielen und einfach viel Zeit miteinander zu verbringen! Dafür lohnt es sich dann auch, sich spät abends wieder an den Schreibtisch zu setzen…
Wir haben vor ca. drei Jahren mit dem Gedanken gespielt mit unserer kleinen Familie ins Ausland zu gehen. -Das Online-Business macht das ja möglich. Letztlich haben wir uns dafür entschieden, in Deutschland zu bleiben – auch wegen der Nähe zu unseren Familien und Freunden. Wie geht es Dir in London und was kannst Du aus Deiner Erfahrung berichten?
Wir überlegen manchmal, wie es wäre, wieder in Deutschland zu leben, genau aus diesen Gründen! Aber der Job meines Mannes ist ganz klar vorerst hier in UK. Trotzdem – wir denken mit Wehmut an die tolle Lebensqualität in Deutschland, die guten Schulen, unsere Familie und Freunde, und und und! London wird uns manchmal zu stressig und laut. Aber wir wohnen seit ein paar Jahren im Süd Westen Londons und hier ist es schön grün und etwas ruhiger. Und so stressig es manchmal ist - wir lieben diese Stadt einfach – sie inspiriert und fasziniert uns immer wieder, und gibt uns das Gefühl „angekommen“ zu sein. Also für uns die perfekte Mischung – ruhige Wohngegend und trotzdem die Weltstadt vor der Tür! Außerdem- gerade weil mein Mann und ich beide als Kind so oft umgezogen sind, freut es uns für unsere Kinder, dass sie an einem Ort aufwachsen dürfen und kein Nomadenleben führen. Und Deutschland ist ja nicht weit weg – wenn nicht gerade Covid-19 unser Leben beherrscht, fahren wir mehrmals im Jahr mit dem Auto mit dem Zug durch den Eurotunnel, und sind innerhalb von sieben Stunden im Rheinland, wo ein Teil unserer Familie wohnt, und ein paar Stunden später in Niedersachsen. Road Trip – wir sind schon ziemlich gut darin!
Du hast auf Deinem bisherigen Weg so viele spannende Erfahrungen gesammelt, gibt es etwas, was Du unseren SchwesterSchwestern mit auf den Weg geben möchtest?
Ich glaube eher, dass Ihr mir ziemlich viele Tips geben könntet! Ich bin immer noch dabei, alles von der Pike auf zu lernen. Vielleicht kommt das durch meinen Background als Anwältin – ich will das Business bis ins kleinste Detail kennen und verstehen. Ich habe außerdem absolut Null Angst vor „Admin“, Regelungen, Papierkram u.s.w., und da das leider zum Selbstständigsein dazu gehört, ist das schon mal ein Plus ;-) Ich weiß, dass Ihr letztes Jahr Euren englischen Online Shop gelauncht habt – ich kann Euch nur raten, weiter zu machen, trotz Brexit. Die Engländer werden weiterhin alles toll finden, was vom „Kontinent“ kommt!
Und hier geht´s direkt zu den zauberhaften Kleidchen von Annafie London.
copyright der Fotos: Annafie London